Nachsichtig und souverän

Kinder beim Umgang mit Medien zu begleiten, ist letztlich ganz einfach, meint der Kinderpsychologe Wolfgang Bergmann. Denn Eltern dürfen dabei Fehler machen.

Überall Verrohung und Werteverfall ?

Manchmal wissen wir Eltern nicht, worüber wir uns mehr Sorgen machen sollen: Zu viel Fernsehen? Allzu langens Computerspielen? Aber was ist „zu viel“ und „zu lange“, und was gehört heute einfach zu unserer medialen Kultur? Die Unsicherheit ist groß. Dann suchen wir nach Experten-Rat und sind hinterher erst recht ratlos. Kinder müssen die neuen Medien kennen lernen und beherrschen, vor allem die Computer mit ihrer besonderen Art des Spielens und Kommunizierens, sagen die einen. Ohne die wichtigsten TV-Sendungen können Töchterchen und Söhnchen auf dem Schulhof gar nicht mitreden, ergänzen andere.
Doch dann kommt ein Gehirnforscher wie Manfred Spitzer und erklärt, dass Fernsehen möglicherweise „tödlich“ sei (so der Titel eines seiner Bücher). Ist vielleicht etwas übertrieben, aber dass zu viel Fernsehen am Nachmittag (oder schlimmer bis spät in die Abendstunden) für die kindliche und jugendliche Entwicklung nicht förderlich ist, das wussten wir selber auch schon. Dann gibt es noch renommierte Sozialforscher wie den Kriminalsoziologen Christian Pfeiffer, die den Eltern mit ausführlichen Studien nachweisen, dass soundsoviel Stunden Fernsehen die Schulleistungen um soundsoviel Prozent verringern. Auf den Computer ist Herr Pfeiffer auch nicht besser zu sprechen – überall vermutet er Verrohung und Werteverfall.
Und wer hat nun recht? Was sollen wir armen Eltern mit so viel widersprüchlichem Experten-Rat anfangen – zumal jeder daher redet, als hätte er die „ganze Wahrheit“ unbestreitbar gepachtet? Widerspruch ist nicht erlaubt!

Mein Rat:

Als erstes verabschieden wir uns mal von der Illusion, dass es überhaupt eine klare „ganze Wahrheit“ über Medien, egal ob TV, Computer oder Handy, gibt. Verabschieden sollten wir uns auch von dem liebevoll gemeinten, aber völlig unrealistischen Vorsatz: Wir machen alles richtig! In der Kindererziehung macht kein Mensch alles richtig, übrigens auch die gut ausgebildeten Therapeuten und Buchautoren nicht; ich weiß, wovon ich rede, ich gehöre selbst dazu! Ist das schlimm? Ist es nicht! Perfekte Eltern wären nur langweilig und irgendwie sogar unmenschlich. Wir dürfen Fehler machen! Das ist doch schon mal eine Erleichterung, oder?

Mit der Stoppuhr geht es nicht

An einigen pädagogischen Einsichten allerdings gibt es kaum Zweifel. Vertrauen ist viel besser als Kontrolle, das ist ein Grundsatz guter Erziehung. Wird unser elterliches Vertrauen enttäuscht, dann dürfen wir auch richtig sauer werden. Keine Sorge übrigens: Unser Kind hat schon von sich aus ein richtig schlechtes Gewissen und will es beim nächsten Mal besser machen. Das ist doch ein gutes Fundament für eine zweite Absprache; diesmal dürfen wir allerdings ein bisschen mehr kontrollieren. Der oder die Kleine weiß schon, warum das gerechtfertigt ist! So lernt er oder sie, Regeln einzuhalten; Herummeckern und Strafen hingegen erzeugen nur Trotz!

Klare Absprachen also, aber bitte großzügig. Denn: „Jeden Tag eine halbe Stunde oder eine Stunde“, das funktioniert nicht. Gerade die komplexen, die intelligenten Spiele brauchen nämlich Zeit! Allein in einem Strategiespiel das Gelände aufzubauen, kostet schon locker eine Stunde. Wenn Mama oder Papa dann mit der Stoppuhr in der Hand ins Zimmer eilen und barsch „Ausschalten!“ rufen, greift das schlaue Kind beim nächsten Mal lieber zu einem Ego-Shooter, einem meist blöden Ballerspiel. Das braucht es nämlich nur einzulegen, und schon kann’s losgehen. Das braucht keine Anlaufzeit. Aber wir wollen doch, dass die Kleinen gute und intelligente Spiele spielen (die gibt es durchaus) und nicht nur am Monitor herumballern – oder?

Machen Computerspiele dumm?

Also legen wir lieber Wochenkontingente fest, bei den Jüngeren auf Tage verteilt: Montag und Dienstag bleibt der Computer aus, samstags und sonntags ist mehr erlaubt. Wenn unser Grundschüler übrigens steif und fest behauptet, er könne ohne Computer nie und nimmer seine Hausaufgaben ordentlich erledigen, das sei in der modernen Welt nun einmal so, dann fragen wir gelegentlich bei der Klassenlehrerin nach. In Grundschulen hat sich dieser Trick unter Kindern verbreitet wie ein epidemischer Virus …
Also: Am Wochenende darf gespielt werden, auch mal zwei Stunden am Stück für die unter Zehnjährigen, vier Stunden ab 14 und dazwischen irgendwas. Letztlich sind es unsere ganz individuelle Entscheidung und unsere Einstellung zu den digitalen Medien, die die Vorgaben prägen. Eltern haben dieses Recht, und Kinder wissen das.
Aber machen Computerspiele nicht gewalttätig? Werden aus kleinen „Counterstrike“-Spielern nicht womöglich gar pubertierende Amokläufer? Nein, davon kann keine Rede sein. Und nichts nervt Kinder so sehr wie hysterische und fortwährend moralisierende Eltern.
Und machen Computerspiele dumm? Nein, im Gegenteil: Sie trainieren intelligente Gehirnfunktionen – allerdings gilt das nur für ganz bestimmte Spiele. Alles, was mit Kontakt und Kommunikation, mit sozialem Mitgefühl und ähnlichem zu tun hat, lernt man dagegen am Computer nicht. Auch nicht beim Chatten mit „Freunden“, von denen man oft nicht mal genau weiß, wie sie aussehen.

Zusammengefasst heißt das:

Mit Gelassenheit und großzügiger Klarheit kommen Kinder am besten zurecht. In der Erziehung gibt es nämlich ein ganz wichtiges Geheimnis: Was die Kinder wirklich prägt und „erzieht“, das sind nicht die Regeln und nicht die Verbote, sondern die souveräne Haltung der Eltern. Was wir erlauben und unserer Liebe zu den Kindern und unserer nachsichtigen Souveränität stehen. Solche klare Haltung gefällt Kindern, macht sie sogar insgeheim ein wenig stolz: „Mein Papa weiß genau, was er will.“ Oder: „Meiner Mama kann ich nichts vormachen.“ Das gilt allerdings nur, wenn sie sich dabei ganz und gar geliebt fühlen.

Letztlich ist alles doch ganz einfach.

Wolfgang Bergmann